von Josef Niklas
Inhaltsübersicht:
1. Begegnung mit und Einblick in Karate
2. Ausbildungsregeln und Bedingungen
3. Die geistige Grundhaltung im Karate
4. Schlagtechniken
5. Abwehrtechniken
6. Atemtechniken
7. Beschreibung einzelner Techniken
8. Geschwindigkeit und Energie einer Technik
9. Neo Ho Tong – kurze Biographie
1. Begegnung mit und Einblick in Karate
April 1980. Eine Karateschule wird in Regenstauf, in der Nähe von Regensburg eröffnet. Das Plakat kündigt Trainingszeiten am Montag, Mittwoch und Freitag von jeweils 90 Minuten Trainingszeit an. Ich dachte mir, da wird man sich wohl einen Trainingstermin aussuchen können. Natürlich waren alle drei Termine pro Woche als Trainingspensum angesetzt. Ich war damals 17 Jahre alt und auf der Suche nach einer Sportart. Nachdem ich Fußball und Handball ausprobiert hatte und bemerkte, dass sich kein gutes Ballgefühl einstellen wollte, war es an der Zeit, mit etwas völlig anderem zu beginnen: Karate. Dass die Ausübung von Karate mehr als eine weitere Sportart darstellt, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Schon die 20 Minuten Gymnastik verlangen mir einiges an Konzentration, Muskelbelastung und Ausdauer ab. Zu sehen, mit welcher Leichtigkeit, Schnelligkeit und Präzision Neo Ho Tong und die anderen asiatischen Trainer, die er zu Unterstützung einsetzte, Techniken ausführte war äußerst beeindruckend. Derart schnelle und explosive Techniken kannte ich bis dahin nur von der Leinwand. Schon nach dem ersten Training war ich absolut begeistert und war mir gewiss, meine Sportart gefunden zu haben.
Neo Ho Tong war 1980 als Cheftrainer des Shorin Ryu Siu Sin Kan Karate aktiv. Zusammen mit anderen hervorragenden DAN-Trägern aus Malaysia wurden die verschiedensten Trainingseinheiten angeboten. Von intensiver, an Yoga orientierter Gymnastik, über Ausdauer- und Kraftübungen hin zu Grundtechniken (Kihon), festgelegten Formen (Kata) und Zielübungen mit einem Partner sowie freies Kämpfen (Kumite) wurde alles abgedeckt. Auch der Umgang mit den traditionellen Karate-Waffen (Kobudo) wurde eingeübt.
2. Ausbildungsbedingungen und Regeln
Das intensive körperliche Training stand zunächst im Mittelpunkt. Dass Karate mehr zu bieten hatte als körperliche Fitness, wurde schon durch die Regeln und Bedingungen deutlich, die jeder Karateschüler in seinem Karatepass – ausgestellt von Neo Ho Tong – nachlesen konnte.
Das Karatetraining ist die Entwicklung des Geistes und des Charakters einer Person und ein Karateschüler soll Geduld, Toleranz und Bescheidenheit entwickeln.
Karate ist ein Sport und darf nicht für andere Zwecke verwendet werden.
Karate ist auch eine Kunst der Selbstverteidigung und sollte nicht wahllos angewandt werden. Provokation entschuldigt das Anwenden von Karate in keinster Weise. Es darf lediglich verwendet werden als Abwehr eines unmittelbaren körperlichen Angriffes und selbst unter diesen Umständen dürfen Karatetechniken nur mit Zurückhaltung und ohne Bösartigkeit eingesetzt werden.
Karate ist nicht dazu da, um damit zu prahlen und sollte in dieser Absicht auch nicht erlernt werden. Es sollte nur für erzieherische und mildtätige Zwecke öffentlich demonstriert werden.
Karate betont nicht das Brechen von Ziegelsteinen, Brettern oder anderen harten Gegenständen, obgleich man die Fähigkeit, dies zu tun, durch ausreichendes Training des Karate auf natürliche Weise erlangt.
Karate betont die Geschwindigkeit der Bewegung und den Scharfsinn des Geistes.
Karateschüler sollen gute Manieren und Respekt gegenüber älteren Personen und ihren Trainern entwickeln.
Teilnehmer am Training sollen sich vor und nach dem Training diszipliniert und aufmerksam verhalten und die Gruppen nicht stören.
Personen mit Vorstrafen oder schlechtem Charakter werden zum Karatetraining nicht zugelassen.
Personen, die Karate anwenden um einzuschüchtern oder und zu streiten, werden vom Training ausgeschlossen.
Neo Ho Tong selbst lebte diese Regeln vor und hat seine Schüler immer wieder darauf hingewiesen, dass mit dem Karatetraining eine Grundeinstellung verknüpft ist, die sich durch Friedfertigkeit, Respekt, Toleranz, Durchhaltevermögen und Bescheidenheit auszeichnet. Wer diese Einstellung im Laufe des Trainings nicht verinnerlicht, für den ist das Karate-Training nicht geeignet. Neo Ho Tong hat immer wieder betont, dass Karate eine absolut defensiv angelegte Kampfkunst ist. Ein Angriff mit Karatetechniken verbietet sich. Er hat klargestellt, dass ein echter Karate-Ka jeder körperlichen Auseinandersetzung aus dem Weg geht. Selbst übelste Beleidigungen sind keine Rechtfertigung für den Einsatz von Karatetechniken. Lediglich zur Abwehr eines direkten Angriffs auf den eigenen Leib und das Leben oder das von Schutzbedürftigen, ist es zulässig Karate einzusetzen. Selbst dann soll dies mit Umsicht und verhältnismäßig erfolgen.
3. Die geistige Grundhaltung im Karate
Neo Ho Tong hat in seinen formativen Jahren verschiedene Karatestile trainiert und seine Schüler darauf hingewiesen, dass sich zwar die Karatestile in manchen Techniken und Abläufen unterscheiden, dass aber die geistige-moralische Einstellung bei allen Karatestilen identisch ist. Der gegenseitige Respekt und die Achtung aller derer, die Kampfkünste betreiben, waren ihm ein großes Anliegen. Als Karatemeister im Training war er fordernd und antreibend mit der entsprechenden Distanz zwischen Meister und Schüler. Er warnte auch davor, durch den Erwerb von Gürtelgraden hochmütig zu werden, oder Karate-Techniken in prahlerischer Absicht zur Schau zu stellen. Dies widerspricht dem Geist des Karate. Außerhalb des Trainings war sein Umgang mit den Schülern freundlich, wertschätzend und immer auf Augenhöhe. Eine künstliche Distanz zwischen Meister und Schüler aufzubauen war ihm fremd und ein unterwürfiges Verhalten seiner Schüler peinlich. Wo immer es dazu Ansätze gab, hat er es mit einem freundlichen Lächeln und positiven Worten unterbunden. Der gegenseitige Respekt im Umgang miteinander im Trainingsraum wurde zur Selbstverständlichkeit und – vorgelebt von Neo Ho Tong – auch außerhalb des Dojos praktiziert. Die positiven körperlichen Auswirkungen, die regelmäßiges Karatetraining mit sich bringen in Bezug auf Ausdauer, Beweglichkeit, Kraftentfaltung, Konzentrationsfähigkeit konnte jeder Karate-ka an den Trainern sehen und am eigenen Körper erleben.
4. Schlagtechniken
Der Respekt und die Achtung der körperlichen Unversehrtheit der Karate-Schüler stand im Training an oberster Stelle. Neo Ho Tong war es ein wichtiges Anliegen, zu vermitteln, dass die Techniken mit äußerster Schnelligkeit und Präzision bei den Partnerübungen und im Freikampf ausgeführt wurden, ohne dabei den Partner zu treffen. Eine leichte, schnell ausgeführte Berührung des Oberkörpers war noch im Rahmen des Erlaubten, Treffer mit Kontakt zum Kopf waren nicht zulässig. Die Karateschüler mussten lernen, ihre Techniken ein paar Millimeter vor dem Kopf des Partners zu stoppen. Auch bei Körpertreffern war es äußerst wichtig, die absolute Kontrolle über die Technik zu haben und spätestens bei Berührung die Technik zu stoppen.
5. Abwehrtechniken
Was die Abwehrtechniken im Karate in den Partnerübungen und im Freikampf angeht, sind diese mit Kontakt ausgeführten Techniken mit der Kraftentfaltung, die nötig ist, um eine Technik abzuwehren oder vom Körper abzuleiten. Da die Abwehrtechniken mit entsprechendem Krafteinsatz praktiziert werden und der heftige Kontakt mit dem Arm oder Fuß des Partners unerlässlich ist, kann es hier durchaus zu blauen Flecken kommen. Neo Ho Tong hat zudem darauf hingewiesen, dass die Abwehrtechniken im Trainingsraum angemessen und nicht überzogen ausgeführt werden sollen. Als Verhaltensweise, um einen möglichen Aggressor von einem weiteren Angriff abzubringen, gab er den Rat, im Ernstfall die Abwehrtechnik so fest wie möglich auszuführen. Der Überraschungseffekt, den ein richtig ausgeführter Karateblock bei einem Angreifer auslöst, kann schon ausreichen, um die streitsuchende Person davon abzuhalten, weitere Angriffe zu unternehmen.
6. Atemtechniken
Neo Ho Tong hat auch darauf hingewiesen, wie wichtig die Atemtechniken im Karate sind. Dazu hat er zwei reine Atemkata vermittelt (Sanchin und Tensho) sowie Kata, die Atemsequenzen enthalten (Seienchin, Hangetsu) Die langsame intensive Atmung dient dabei der Kräftigung der Muskulatur. Welche Kräfte der Körper bei richtiger Atmung und angespannter Muskulatur in der Lage ist ohne Schaden aufzunehmen, hat er in vielen Bruchtests bewiesen. Die schlagartige, heftige Ausatmung ist für eine maximale Kraftentfaltung einer Karatetechnik von Vorteil.
7. Beschreibung einzelner Techniken
Besonderen Wert hat Neo Ho Tong auf die äußerst korrekte Ausführung der Karatetechniken gelegt. Bis in die kleinsten Details hat er beschrieben und demonstriert, wie die Techniken ausgeführt werden sollen. Hinweise wurden gegeben, um die Abnutzung der Gelenke zu minimieren und die Kraftentfaltung zu maximieren.
7.1 Abwehr nach vorne (Gedan-Barai)
Eine Hand ist gestreckt und die Faust der anderen Hand befindet sich auf der Schulter der gestreckten Hand. Die Hand auf der Schulter wird nun am anderen Arm entlang nach unten zur gegenüberliegenden Seite geführt. Dabei wird die ausgestreckte Hand zurückgezogen. Beide Hände bewegen sich dabei gegeneinander und beenden die Bewegung auch gleichzeitig. Die sich nach unten bewegende Hand führt eine Abwehrtechnik mit dem Unterarm durch und die Faust wird dabei um 90 Grad gedreht. Die zweite Hand wird dabei in die Grundposition zurückgezogen, wobei die Faust um 180 Grad gedreht wird, damit in der Endposition der Daumen nach oben schaut. Oberkörper und Hüfte werden dabei um 45 Grad aus der Grundstellung nach Hinten gedreht.
7.2 Abwehr nach unten und oben (Teisho uke und Koken uke)
Ein Schlag zur Körpermitte wird abgewehrt indem der Handballen aus der Ausgangsposition nach unten zur anderen Körperseite geführt wird. Dabei macht die Hand eine Vierteldrehung und die Finger sowie der Daumen werden gekrümmt. Jetzt wird ein Fauststoß zum Kopf abgewehrt indem dieselbe Hand nach oben geführt wird. Die Finger und der Daumen berühren sich dabei und das Handgelenk führt die Abwehrtechnik aus.
7.3 Rollende Abwehr mit seitlichen Faustrückenschlag (Teisho uke mit Uraken)
Die rechte Hand blockiert mit der Handfläche einen Schlag des Gegners. Die linke Hand übernimmt die Blockierung des angreifenden Armes. Die rechte Hand wird unter der linken zum Körper auf Gürtelhöhe zurückgezogen und schlägt mit dem Faustrücken zur Schläfe des Angreifers. Dabei ist die Drehung der Faust für die Kraftentfaltung von großer Bedeutung. Die schlagende Faust wird um etwa 180 Grad rotiert, bis die Muskulatur einrastet. Nur wenn die Drehung mit der Anspannung der Muskulatur im ganzen Körper gleichzeitig stattfindet kommt es zur maximalen Kraftentfaltung.
7.4 Der klassische Fauststoß (Chudan Tsuki)
Beim klassischen Fauststoß nach vorne aus dem Stand ist darauf zu achten, dass die eine Hand gestreckt und die schlagende maximal zurückgezogen ist. Die Hand, die den Fauststoß ausführt ist etwa eine Faustbreite über dem Gürtel, der Damen zeigt nach oben und die Faust ist geschlossen ohne zu große Anspannung. Die vordere Hand wird nun so schnell es geht zurück gezogen und gleichzeitig schnellt die schlagende Hand nach vorne. Im letzten Moment werden dabei beide Fäuste gedreht bis die Muskulatur einrastet. Äußerst wichtig ist es, im Augenblick der Vollendung des Fauststoßes, die gesamte Muskulatur im Körper anzuspannen, von den Zehen, die sich am Boden festkrallen, über die Waden-, Bein- und Gesäßmuskulatur hin zur Bauch-, Rücken-, Schulter- und Armmuskulatur. Zum Zusammenklang der Rotationsbewegung der Fäuste mit der Anspannung der Muskulatur kommt das kräftige Ausatmen hinzu. Nur wenn dieser Dreiklang stattfindet wird die Technik richtig ausgeführt. Die rechtzeitige Anspannung der Muskulatur ist unerlässlich, um die Gelenke nicht zu überlasten. Zudem wird der schlagende Arm durch die Arretierung der Muskulatur davor geschützt, die Gelenke in Schulter und Ellenbogen zu überlasten. Der Arm ist in der Endphase des Fauststoßes fast vollständig durchgestreckt. Beide Fäuste sind waagrecht ausgerichtet, die schlagende Faust mit dem Daumen nach unten und die angezogene, sich oberhalb des Gürtels befindliche Faust, mit dem Daumen nach oben.
7.5 Der Vorwärts Fußtritt (Mae-Geri)
Aus der Vorwärtsstellung (Zenkutsu-Dachi) wird der hintere Fuß nach oben gezogen, so dass sich Unter- und Oberschenkel berühren. Das Standbein dreht sich dabei auf dem Ballen um etwa 45 Grad. Die Fußsohle ist parallel zum Untergrund. Der Fuß wird nun ruckartig durchgestreckt wobei der Fußballen noch vorne geschoben wird und den Auftreffpunkt darstellt. In der Endphase des Fußtrittes wird die Muskulatur angespannt. Der schlagende Fuß wird nun auf demselben Weg zurückgebracht und hinten abgesetzt. Die Hand auf der Seite des tretenden Fußes ist angewinkelt, der Ellbogen befindet sich dabei etwa auf Köpermitte und die Faust vor dem Kinn. Die zweite Hand ist in der Grundposition am Körper, oberhalb des Gürtels.
7.6 Der seitliche Fußstoß (Yoko-Geri)
Ausgehend von der Vorwärtsstellung (Zenkutsu-Dachi) dreht sich das Standbein auf dem Ballen um 135°. Gleichzeitig wird der tretende Fuß mit dem Knie Richtung Körpermitte hochgezogen. Unter- und Oberschenkel berühren sich und die Ferse des schlagenden Fußes zeigt in die Zielrichtung. Der tretende Fuß wird nun mit maximaler Schnellkraft durchgestreckt und im letzten Moment der Bewegung werden alle Muskeln im Körper angespannt. Die Ferse stellt den höchsten Punkt dar und befindet sich mindestens auf der Höhe der Körpermitte (Solar Plexus). Die Ferse des schlagenden Fußes, die Ferse des Standbeins, das Gesäß und der Hinterkopf befinden sich alle in einer Ebene wobei der Oberkörper so aufrecht wie möglich sein sollte. Die Hand auf der Seite des tretenden Fußes befindet sich in der Ebene, wobei der Unterarm zum Oberarm einen Winkel von 90 Grad einnimmt. Die Faust befindet sich dabei auf Schulterhöhe. Die zweie Faust schützt die Körpermitte, indem der kleine Finger der geschlossenen Faust den Solar Plexus berührt. Der schlagende Fuß wird nun zusammen mit der Hüfte zurückgebracht, wobei sind das Standbein wieder auf dem Ballen um 135 ° zurückdreht.
7.7 Der Halbkreisfußtritt (Mawashi-Geri)
Aus der Vorwärtsstellung wird das hintere Bein hochgezogen, Unter- und Oberschenkel berühren sich dabei und die Zehen sind angezogen. Jetzt dreht sich das Standbein auf dem Ballen um 135 Grad und das Knie des schlagenden Beines zielt in Richtung der Körpermitte. Im letzten Moment schnellt der Unterschenkel zur Körpermitte des Gegners. Der Ballen trifft und Knie, Ferse und Gesäß befinden sich in einer Ebene. Der Oberkörper soll dabei möglichst aufrecht positioniert sein. Die eine Hand befindet sich an der Körpermitte und die Hand auf der Seite des schlagenden Fußes ist etwa 90 Grad angewinkelt, wobei sich die geschlossene Faust auf der Höhe des Kopfes befindet. Jetzt wird der Fuß mit einem rückwärts ablaufenden Bewegungsverlauf zurückgezogen, das Standbein gedreht und der tretende Fuß abgesetzt.
7.8 Der Rückwärtshalbkreisfußtritt (Ushiro Mawashi-Geri)
Aus der Vorwärtsstellung wird das vordere Bein zurückgezogen und so abgesetzt, dass die Ferse noch vorne schaut und sich eine Spannung in der Hüfte einstellt. Das hintere Bein wird nun so nach vorne gestreckt, dass sich der Fuß etwa 45 Grad abweichend von der gedachten geraden Linie, die sich durch den Vorwärtsstand ergibt, befindet. Der Fuß wird nun um etwa 90 Grad weitergezogen, wobei die Ferse wie ein Hammer einen direkt auf der geraden Linie befindlichen Gegenstand treffen würde. Der Unterschenkel wird eingeklappt und das Bein hinten abgesetzt.
8. Geschwindigkeit und Energie einer Technik
Welchen Einfluss die Geschwindigkeit einer Technik auf die sich entfaltende Energie besitzt, wird durch eine physikalische Betrachtungsweise deutlich. Die kinetische Energie, die sich bei einer Technik entfaltet, lässt sich durch die Formel
Ekin = 0,5 * m * V^2
berechnen. Die halbe Masse, multipliziert mit dem Quadrat der Geschwindigkeit, ergibt die Energie in Joule, die durch die Technik bereitgestellt wird. Bei doppelter Geschwindigkeit ergibt sich die 4-fache Energie, da die Geschwindigkeit quadratisch in die Formel eingeht. Steigert man die Geschwindigkeit einer Technik auf das dreifache, dann wird die beim Schlag freiwerdende Energie neunmal so hoch.
Ein Vergleich mag die Geschwindigkeit als wichtigste Einflussgröße einer Technik veranschaulichen:
Person A ist doppelt so schwer wie Person B, bringt es aber bei der Geschwindigkeit eines Fauststoßen nur auf die Hälfte der Geschwindigkeit von Person B.
Welche Energieentfaltung ergibt sich für die beiden Personen?
Person A: Ekin = 0,5 * 2m * V^2 = mV^2
Person B: Ekin = 0,5 *m * (2V)^2 = 0,5 *m*4*V^2 = 2mV^2
Person B bringt die doppelte Energieentfaltung zu Stande als Person A, und das, obwohl Person A doppelt so viel Masse besitzt wie Person B. Diese Überlegung zeigt, wie wichtig es ist, an der Steigerung der Geschwindigkeit der Techniken zu arbeiten.
9. Neo Ho Tong – kurze Biographie
Neo Ho Tong wurde 1946 in Malaka, in Malaysia geboren und im April 2022 ist er in Seramban / Malaysia verstorben. 1963 begann er mit dem Karate-Training bei Trainern aus verschiedenen Stilen wie Shito Ryu, Shotokan, Goju Ryu und vor allem Keishinkan. Bei Sensei Masanao Takazawa erlernte er die Grundlagen des Karate. Zusammen mit Chin Mok Sung kamen sie auch in Kontakt mit Shorin Ryu Seibukan Karate aus Okinawa und Sensei Zenryo Shimabukuro. In Okinawa erlernte Chin Mok Sung das Kobudo von Matayoshi Shinpo und brachte es nach Malaysia. Aus diesen Einflüssen heraus gründeten beide in den 70er Jahren die Stilrichtungen International Shorin-Ryu Seibukan in Malaysia mit Chin Mok Sung als Chef-Trainer und Shorin-Ryu Siu Sin Kan in Deutschland mit Neo Ho Tong als Chef-Trainer. (Siu Sin Kan = „Ort, an dem Herz und Charakter gebildet werden“)
Zusammen mit anderen Karate-Trainern aus Malaysia begann Neo Ho Tong 1978 in der Schweiz Karatetraining anzubieten. 1979 kam er nach Regensburg und begeisterte als Karatemeister alle, die das Glück hatten, sein Training zu erleben. Karateschulen aufzubauen, um die Kampfkunst zu unterrichten, das war seine Mission. Seine Kompetenz in den Kampfkünsten führte dazu, dass sehr viele Kampfkunstbegeisterte aus den verschiedensten Nationen sich seinem Training unterzogen. Es entstanden Karateschulen in Obertraubling, Kelheim, Regenstauf, Straubing, Ihrlerstein, Beratzhausen, Deggendorf und Weiden.
Um den Bedarf an erstklassigen Karatemeistern zu decken, brachte Neo Ho Tong einige Kampfkunstmeister nach Deutschland. 1982 verließ Neo Ho Tong Deutschland für einige Jahre und kam dann 1987 wieder zurück. Ab diesem Zeitpunkt unterrichtete er hauptsächlich in den Dojos Regenstauf und Deggendorf. Viele seiner Schüler waren fasziniert von der exakten und perfekten Ausführung seiner Karate-Techniken und für nicht wenige war dies der Grund, mit dem Karate-Training zu beginnen. Er gab so viel er konnte von seinem breiten Wissen in Karate an seine Schüler weiter und lehrte ihren wertvolle Kata aus Karate und Kobudo. Zudem förderte er seine Schüler auch charakterlich und machte sie mit dem geistig-philosophischen Bereich der Kampfkünste vertraut. Er selbst hat sich neben Karate auch mit Akupunktur, Tai Chi Chuan und Kung Fu beschäftigt und sogar einige Wochen im Shaolin Tempel in Henan /China trainiert. Nach seinem Aufenthalt in China 1997 brachte er Techniken, Atemübungen und philosophische Gesichtspunkte aus dem Kung Fu in sein Karatetraining mit ein.
Seine Strenge und Anforderungen an die Genauigkeit im Training wurden von seinen Schülern ebenso geschätzt wie seine Wärme und Herzlichkeit außerhalb des Trainings. Seinen Schülern vermittelte er nicht nur Karatetechniken in Perfektion, sondern auch die dazugehörige friedfertige Grundeinstellung. Streng nach dem Grundsatz, dem alle asiatischen Kampfkünste folgen: Kampfkunst als Weg zur Stärkung des Charakters. Die Tugenden, die er an seine Schüler weitergab, lebte er selbst vor: Friedfertigkeit, Bescheidenheit, Großzügigkeit, Loyalität, Freundlichkeit. Seine ausgewogenen Trainingseinheiten waren äußert geschätzt und brachten nach jahrelangem Training zahlreiche begeisterte Karateka hervor. Seine präzisen Techniken, seine Schnelligkeit, sein breites Wissen und Können in den Kampfkünsten war immer äußerst beeindruckend. Besonders diejenigen Schüler, die es unter seinen strengen Augen bis zum Schwarzgurt gebracht haben, schätzten sein hartes, diszipliniertes Training sowie seinen ungezwungen und freundlichen Umgang mit seinen Schülern nach dem Training. Dabei sind einige lebenslange Freundschaften entstanden. Neo Ho Tong war nicht nur ein echter Meister der Kampfkünste, sondern auch eine großherzige, bescheidende Persönlichkeit. Oft verglich er das Training der Kampfkünste mit kochendem Wasser, wenn das Feuer fehlt, hört es aus zu kochen. Wer mit dem Training aussetzt, verliert sein Können: „Keep the fire burning“ war seine Aufforderung an alle seine Schüler.
(jn)